Anton Keppner bricht sein Schweigen
Ausbruch-Flut bedeutet das Ende

Schwerte..“Wenn Steine reden könnten!“ - Unter diesem Leitsatz faßten die Ruhr-Nachrichten vor einigen Jahren die Schwierigkeiten zusammen, die sich immer dann auftürmen, wenn es um die Erforschung des Außenkommandos Schwerte des Konzentrationslagers Buchenwald geht.
Zwar sind die Mauern des Eisenbahn-Ausbesserungswerkes Schwerte-Ost, die die KZ-Häftlinge in der Zeit vom April 1944 bis Januar 1945 von der Freiheit abschnitten, weiterhin stumm geblieben. Dafür jedoch lüftete ein Kenner der damaligen Vorgänge erstmals sein Schweigen: Leitender Bundesbahn-Direktor a. D. Anton Keppner (78), von 1942 bis 1968 Werksdirektor in Schwerte-Ost. Über den Pressesprecher der Eisenbahndirektion Essen, Werner Lehmann, konnte er den Ruhr-Nachrichten bisher unbekannte Einzelheiten mitteilen.

Lager aus Baracken
Als im Verlauf des zweiten Weltkriegs mehr und mehr Mitarbeiter zum Militärdienst einberufen wurden. litt das Ausbesserungswerk Schwerte-Ost unter einem starken Mangel an Arbeitskräften. Um die Lokreparatur in Gang zu halten. wurden zunächst in Frankreich und Belgien zivile ausländische Mitarbeiter angeworben. Für diese Zivilarbeiter, im Jahre 1944 mit rund 1000 Mann etwa ein Viertel der Gesamtbelegschaft, entstand auf dem Werksgelände ein Lager aus etwa 30 Einheitsbaracken des Reichsarbeitsdienstes.
Obwohl man mit der Leistung der Zivilarbeiter sehr zufrieden war, wurden dem Werk dann im April 1944 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Konzentrationslager Buchenwald zugewiesen. „Dies geschah entgegen der Meinung der Werksleitung“ betont Keppner. Die Anordnungen dazu müssen zentral vom Reichsverkehrsministerium in Berlin ausgegangen sein, zumal das AW Schwerte keinen Einzelfall darstellte.
Auch in anderen Ausbesserungswerken der Reichsbahn, beispielsweise in Jena oder München-Freimann, wurden Zwangsarbeiter aus Konzentrationslagern beschäftigt. Um die nach Keppners Angaben zunächst zwischen 200 und 300 Häftlinge unterzubringen, mußte ein Teil des Zivilarbeiterlagers geräumt werden. Der zuständige Kommandoführer, ein SS-Hauptscharführer, suchte dafür den südöstlichen Zipfel des vorhandenen Barackengeländes aus.
Als Leiter der Wachmannschaft regelte dieser Mann sämtliche Lagerangelegenheiten in Eigenregie. Keppner: „Er ließ sich in nichts hereinreden.“

700 Häftlinge
Bei einer durchschnittlichen Belegung von bis zu 100 Mann pro Einheitsbaracke, muß das Gelände des Außenkommandos Schwerte auf ca. sieben bis zehn Gebäude angewachsen sein, als im September 1944 ein Höchststand von 700 Häftlingen erreicht wurde. Die Tatsache, daß es sich dabei um frühere Zivilarbeiter-Unterkünfte handelte, verschaffte den Buchenwaldern den ungeahnten „Luxus“ von Waschräumen und einer Zentralheizung, die aus dem Kesselhaus des Ausbesserungswerkes gespeist wurde. Zudem wurden die Häftlinge nach den Angaben Keppners aus derselben Küche verpflegt wie auch die zivilen Fremdarbeiter: „Beide aßen denselben Eintopf.“ Bei der ungemein schwierigen Versorgungslage sollen sich sogar AW-Mitarbeiter ständig um die Besorgung zusätzlicher Verpflegung bemüht haben.

Ungelernte Kräfte
Auf dem Weg zu der im westlichen Teil gelegenen großen Lokrichthalle hatten die Buchenwalder nahezu den halben AW-Komplex zu überqueren. Als ungelernte Kräfte mußten sie dort in Arbeitsgruppen unter der Anleitung deutscher Facharbeiter die Schadlokomotiven auseinanderbauen und nach der Reparatur wieder montieren. Aufgrund dieser Eingliederung in den Arbeitsprozeß war es nach Keppners Aussage gar nicht möglich, für die KZ'ler besondere Arbeitsnormen aufzustellen. Da sie nur gemeinsam mit den deutschen Vormännern arbeiten konnten, müssen der lange ll-Stunden-Tag sowie die Pausenzeiten für alle identisch gewesen sein. Nach den schweren körperlichen Anstrengungen - Maschinenarbeit verrichteten die Häftlinge nicht - folgte der Rückmarsch hinter den Stacheldrahtzaun des Lagergeländes. Wachtürme, wie sie gelegentlich ins Gespräch gebracht werden, gab es in Schwerte-Ost nicht. So gelang es den SS-Bewachern nicht immer, eine Flucht in dem ausgedehnten Gelände zu vereiteln.
In den häufigen Ausbruchsversuchen, die auch in den Statistiken auftauchen. sieht der frühere Werksdirektor auch den Anlaß, die Buchenwalder wieder abzuziehen.,,Man hat den Versuch Ende 1944 aufgegeben, weil die Häftlinge reihenweise verschwunden sind.“ Und selbst dann noch nutzten einige Häftlinge ihre letzte Chance. Nach einer Fluchtmeldung an die politische Abteilung des KZ Buchenwald gelang zehn Russen noch während eines Rücktransports am 11. 12. 1944 der Sprung in die Freiheit.